In Zeiten rasanter technologischer Entwicklung verändert Künstliche Intelligenz (KI) nicht nur Lernprozesse, sondern auch die Art und Weise, wie sich Lehrkräfte professionalisieren.
Ein aktuelles Paper von Lieselot Declercq, Annabel Declercq und Koen Verlaeckt (AI-Enhanced Learning, 2025) beleuchtet, wie virtuelle Menschen – KI-gestützte, interaktive Avatare – in der Praxis eingesetzt werden können, um Lehrkräfte zu entlasten und gleichzeitig Lernenden personalisierte Unterstützung zu bieten.
ToC: Human-AI Kollaboration im Online-Lernen

Das Kernproblem: Bloom’s 2-Sigma-Dilemma
Bereits 1984 zeigte Benjamin Bloom, dass 1:1-Tutoring Lernleistungen um bis zu zwei Standardabweichungen verbessert (Bloom, 1984). Doch weltweit fehlen Millionen qualifizierter Lehrkräfte – die UNESCO spricht von 44 Millionen bis 2030 (UNESCO Global Report on Teachers, 2024).
Hier setzt KI an: Adaptive Systeme und virtuelle Tutoren versprechen, individuelle Förderung im großen Maßstab verfügbar zu machen – allerdings ohne die Lehrkraft zu ersetzen.
–> Creating Effective Learning Objectives with AI: A Step-by-Step Guide
Virtuelle Menschen als Co-Lehrkräfte
Im Zentrum der Studie steht der Einsatz von virtuellen Menschen (entwickelt mit der Soul Machines Plattform). Sie sind mehr als Chatbots: Sie verarbeiten multimodale Eingaben, zeigen Mimik, erinnern sich an Gespräche – und können so als digitale Co-Lehrkräfte agieren.
Die Ergebnisse der Pilotprojekte an der belgischen d-teach Online School sind vielversprechend:
- Routineaufgaben entlasten: Wiederholte Erklärungen, organisatorische Hinweise oder Übungseinheiten.
- Personalisierung ermöglichen: Differenzierte Rückmeldungen, individuelle Sprachförderung.
- Zugang erweitern: Unterstützung für international mobile Schüler:innen oder Lernende mit speziellen Bedürfnissen.
Entscheidend bleibt: Lehrkräfte behalten die pädagogische Führung – KI ergänzt, ersetzt aber nicht.
Ethik und Professionalität im Zentrum
Die Forschenden betonen, dass KI-Einsatz nicht als Plug-and-Play-Technologie verstanden werden darf. Lehrkräfte benötigen:
- Kompetenzmodelle, wie sie die UNESCO AI Competency Framework for Teachers (2023) beschreibt.
- Ethische Leitplanken, etwa das SAFE-Prinzip (Safety, Accountability, Fairness, Efficacy) der EdSAFE AI Alliance.
- Ökosystemisches Denken, wie es auch die OECD AI Capability Indicators (2025) nahelegen.
Nur so kann Professional Development tatsächlich zu einer Stärkung von Lehrer:innen-Agency führen – anstatt sie zu technischer Anpassung zu degradieren.
Internationale Praxisbeispiele
Neben den d-teach-Initiativen verweist das Paper auf weitere Modelle:
- Estland: Mit dem nationalen AI Tutor Projekt wurde KI in die staatliche eKool-Plattform integriert.
- Khan Academy: Der KI-gestützte Tutor Khanmigo nutzt sokratische Fragetechniken, um kritisches Denken zu fördern.
- AI for Education Awards: Ein europäischer Wettbewerb, initiiert von d-teach Online School, sammelt Best Practices für verantwortungsvollen KI-Einsatz.
Diese Projekte zeigen: Es gibt nicht die eine Lösung, sondern viele Wege, wie KI pädagogisch sinnvoll eingesetzt werden kann.
Lerntheorien im Vergleich – Ein umfassender Leitfaden
Call to Action: Drei Investitionsfelder
Die Autor:innen fordern Investitionen in drei zentrale Bereiche:
- Didaktisch fundierte Forschung: Wie lassen sich Lernpsychologie und KI-Design verzahnen?
- Praxisforschung: Welche Erfolgsfaktoren entstehen in echten Klassenzimmern – ob online oder hybrid?
- Politische Rahmenbedingungen: Online-Schulen brauchen Anerkennung und Unterstützung, um ihre Innovationskraft in Bildungssysteme einzubringen.
Ohne diese strukturelle Einbettung droht KI die bestehenden Ungleichheiten zu verschärfen – mit ihr aber eröffnet sich die Chance auf inklusive, flexible und menschzentrierte Bildung.
Fazit: Human-AI Kollaboration im Online-Lernen
Das Paper zeigt eindrücklich: Technologie muss der Pädagogik dienen, nicht umgekehrt.
Wenn Lehrkräfte durch gezielte Weiterbildung befähigt werden, KI kritisch und kreativ einzusetzen, entsteht ein Lernökosystem, das sowohl Skalierbarkeit als auch Menschlichkeit verbindet.
Der nächste Schritt? Globale Lernnetzwerke aufbauen, die Praxis und Forschung enger verzahnen – und Lehrkräfte nicht als Endnutzer, sondern als Mitgestalter:innen begreifen.
Weiterführende Links
- UNESCO AI Competency Framework for Teachers (2023)
- OECD AI Capability Indicators (2025)
- EdSAFE AI Alliance
- Estonia’s National AI Tutor Project
- Khan Academy: Khanmigo
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was versteht man unter Human-AI Collaboration in der Bildung?
Darunter fällt die Zusammenarbeit von Lehrkräften und KI-Systemen. KI übernimmt Routinen wie adaptive Übungen, während Lehrkräfte pädagogische Führung und kritisches Denken fördern.
Ersetzen virtuelle Menschen Lehrer:innen?
Nein. Virtuelle Menschen sind digitale Co-Lehrkräfte, die unterstützen, aber keine menschliche Expertise oder Empathie ersetzen.
Welche Vorteile haben virtuelle Menschen im Online-Lernen?
- Individuelle Rückmeldungen für Lernende
- Entlastung bei wiederholenden Aufgaben
- Stärkere Differenzierung im Unterricht
- Barrierefreiheit für international mobile Schüler:innen
Welche Risiken birgt KI in der Lehrerfortbildung?
Risiken liegen in einer unreflektierten Nutzung: Abhängigkeit von Tools, Verzerrungen in Daten oder ethische Probleme. Darum fordern Frameworks wie das UNESCO AI Competency Framework klare Leitplanken.
Wie können Schulen KI verantwortungsvoll einsetzen?
Durch drei Maßnahmen: gezielte Lehrerfortbildung, ethische Frameworks wie die EdSAFE AI-Prinzipien und politische Anerkennung von Online- und Hybrid-Schulen.