Die gegenwärtige Debatte um generative Künstliche Intelligenz (KI) im Bildungsbereich ist von einer bemerkenswerten Ambivalenz geprägt. Einerseits wird Gen-AI als Instrument der Befreiung und Effizienz gepriesen, andererseits offenbaren sich tiefgreifende Spannungen, die sich in der von Costa und Murphy (2025) formulierten „Tyrannei der Freiheit” manifestieren.
Diese These fordert eine differenzierte Auseinandersetzung, die über technologische Euphorie hinausgeht und die pädagogischen Implikationen kritisch reflektiert. Im Folgenden wird die Schnittstelle zwischen kritischer Bildung und generativer KI aus einer freireanisch fundierten Perspektive beleuchtet, um die komplexen Freiheitsparadoxien im digitalen Bildungsraum zu verstehen.
ToC: Kritische Bildung und generative KI

Was bedeutet kritische Bildung im Zeitalter der generativen KI?
Paulo Freires Konzept der kritischen Bildung gründet auf der Idee der Problematisierung und des dialogischen Lernens. Bildung ist demnach kein passiver Wissenstransfer, sondern ein aktiver Prozess des Erkennens und Hinterfragens gesellschaftlicher Verhältnisse. In diesem Sinne ist Freiheit nicht als bloße Verfügbarkeit von Wahlmöglichkeiten zu verstehen, sondern als kollektive Fähigkeit zur bewussten Gestaltung der eigenen Lern- und Lebenswelt.
Im Kontext generativer KI stellt sich die Frage, wie diese Technologie die Balance zwischen individueller und kollektiver Lernfreiheit beeinflusst. Während Gen-AI vermeintlich individuelle Autonomie durch personalisierte Lernangebote fördert, bleibt die kollektive Dimension der Freiheit oft unberücksichtigt. Die Gefahr besteht darin, dass die Technologie individuelle Freiheit isoliert und damit die gemeinschaftliche Reflexion und kritische Auseinandersetzung unterminiert.
Die „Tyrannei der Freiheit”: Ein philosophischer Überblick
Costa und Murphy (2025) beschreiben die „Tyrannei der Freiheit” als ein Paradox, in dem die vermeintliche Freiheit durch technologische Mittel nicht zu einer echten intellektuellen Befreiung führt, sondern vielmehr eine Form der Entfremdung und Abhängigkeit erzeugt. Generative KI wird hier als „dubious virtue” charakterisiert: Sie verspricht Effizienz und Zeitersparnis, doch diese Effizienz ist trügerisch, da sie die Entwicklung kritischer Denkfähigkeiten nicht fördert, sondern eher ersetzt.
Die philosophische Dimension dieses Arguments verweist auf die Differenz zwischen Freiheit als Möglichkeit und Freiheit als Fähigkeit. Gen-AI kann zwar Wahlmöglichkeiten erweitern, doch ohne die Fähigkeit zur kritischen Reflexion bleibt diese Freiheit oberflächlich und potenziell manipulierbar. Die „Tyrannei” besteht darin, dass die Freiheit zur Illusion wird, die Lernende in eine passive Rolle drängt.
Wie generative KI traditionelle Bildungsfreiheiten beeinflusst
Die Versprechen generativer KI zielen häufig auf zeitliche Effizienz ab: Automatisierte Textgenerierung, schnelle Informationsbeschaffung und adaptive Lernpfade sollen Lernprozesse beschleunigen. Doch diese Effizienz steht in einem Spannungsverhältnis zum kritischen Denken, das Zeit (Hallo Langeweile!), eine Grenzsituation (“welcome darkness, my old friend”), Reflexion und Auseinandersetzung erfordert.
Die Illusion der Technologie-Befreiung zeigt sich darin, dass Lernende durch vorgefertigte Antworten und Lösungen entlastet werden, ohne die zugrundeliegenden Probleme selbst zu durchdringen. Dies kann zu einer Verflachung des Lernens führen, in der die intellektuelle Autonomie zugunsten einer funktionalen Anpassung an technologische Vorgaben aufgegeben wird.
Chancen und Risiken generativer KI für Lernende und Lehrende
Aus der Perspektive des DACH-Raums ist die Einhaltung der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) ein zentrales Kriterium für den Einsatz generativer KI in Bildungseinrichtungen. Datenschutzkonforme Lösungen sind nicht nur rechtlich geboten, sondern auch pädagogisch relevant, da sie das Vertrauen der Lernenden in digitale Technologien stärken.
Gleichzeitig offenbaren sich strukturelle Ungleichheiten, die durch den Zugang zu technischer Infrastruktur und digitalen Kompetenzen verstärkt werden. EU-Bildungsforschung weist darauf hin, dass ohne gezielte Maßnahmen die digitale Spaltung vertieft wird. Die großen datenschutzrechtlichen Freiheiten außerhalb Europas gefährden demokratische Bildungsziele.
Praxisbeispiele: Kritische Bildung mit generativer KI gestalten
Deutsche Hochschulen experimentieren mit generativer KI, etwa in der Unterstützung von Schreibprozessen oder der Entwicklung adaptiver Lernumgebungen. Dabei zeigt sich, dass eine kritische Einbettung der Technologie in pädagogische Konzepte essenziell ist. Freireanische Ansätze empfehlen, Gen-AI nicht als Ersatz, sondern als Werkzeug im dialogischen Lernprozess zu verstehen, das problematisierende Fragen und kollektive Reflexion fördert. Alternative Modelle setzen auf partizipative Gestaltung von KI-Anwendungen, die Lernende als Mitgestaltende einbeziehen und so die kollektive Lernfreiheit stärken.
Zukunftsperspektiven: Freiheit und Kontrolle in der digitalen Bildung
Die Balance zwischen Freiheit und Kontrolle bleibt eine zentrale Herausforderung. Handlungsempfehlungen für DACH-Bildungseinrichtungen betonen die Notwendigkeit, DSGVO-konforme Technologien zu implementieren und gleichzeitig kritische Medienbildung zu fördern. Die EU-Forschungsagenda unterstützt diese Entwicklung durch Projekte, die ethische, soziale und pädagogische Dimensionen von KI in der Bildung systematisch untersuchen.
Eine reflektierte Integration generativer KI erfordert, dass Freiheit nicht als bloße Verfügbarkeit von Technologie verstanden wird, sondern als Fähigkeit zur kritischen Auseinandersetzung und kollektiven Gestaltung. Es steht zu befürchten, dass die gehypte KI-Hysterie unter kapitalistischer Fahne die hehren Ideale der Pädagogik überrollt.